Zwei vom Jugendamt betreute Kinder sterben. Niemand sah etwas. Die Zeit ist überreif für einheitliche Fachstandards in der Kinder- und Jugendhilfe.
Der Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Mitte, Markus Schreiber (li), und der Vorsitzende des Jugendhilfe-Ausschuss, Johannes Kahrs (re.), können das Versagen ihres Jugendamtes im Fall Chantal nicht erklären.
Nein, man möchte sich an diese Schlagzeilen nicht gewöhnen. Ein Kind ist tot, verhungert unter den wachsamen Augen der Behörden. Ein Kind ist tot, vom Staat in die Obhut von Junkies gegeben. Ein Kind ist tot, obwohl vom Jugendamt beauftragte Sozialarbeiter noch tags zuvor nach dem Rechten geschaut haben.
150 Kinder, so die Deutsche Kinderhilfe, sterben in Deutschland jedes Jahr an den Folgen von Gewalt und Misshandlung. Umso grauenhafter, wenn dies unter der Aufsicht von Behörden geschieht, die eigentlich eingeschaltet wurden, um gefährdete Kinder zu schützen. Sind sie tatsächlich irgendwann „betriebsblind“, wie der für den Fall Chantal zuständige Hamburger Bezirksamtsleiter Markus Schreiber meint? Haben wieder einmal viele hingeguckt, aber niemand hat etwas gesehen?
Knallharter Konkurrenz unter freien Trägern
Fest steht, dass das deutsche Jugendhilfesystem ein schwer zu durchschauendes Dickicht ist. Jugendhilfemaßnahmen werden in aller Regel von den Ämtern an freie Träger delegiert, die untereinander in knallharter Konkurrenz stehen. Vom Staat erhalten sie eine Fallpauschale – wie effizient die Hilfe tatsächlich ist, wird jedoch nur unzureichend geprüft. Die Deutsche Kinderhilfe mahnt deshalb schon lange ein Bundesgesetz an, das gemeinsame Fachstandards und regelmäßige Qualitätskontrollen vorsieht, um die Arbeit der 600 deutschen Jugendämter zu vereinheitlichen.
Im Zweifelsfall eine zweite Meinung einzuholen
Dazu muss auch gehören, im Zweifelsfall eine zweite Meinung einzuholen. Denn oft genug tendieren Sozialarbeiter, die längere Zeit mit einer Problemfamilie arbeiten, dazu, ihre professionelle Distanz zu verlieren und unhaltbare Zustände zu übersehen – von verwahrlosten Wohnungen bis hin zu offensichtlichen Zeichen von Misshandlung, wie im Fall des 2009 in Hamburg verhungerten Babys Lara Mia.
Am 1.Januar 2012 ist das neue Bundeskinderschutzgesetz in Kraft getreten. Es enthält viele segensreiche Ansätze, wie Kindern in Not geholfen werden kann. Einheitliche Fachstandards für die Jugendhilfe gehören nicht dazu. Wieder eine vertane Chance.
Von Sabine Menkens
Quelle: Welt Online – http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13848191/Ein-Bundesgesetz-fuer-ueberforderte-Jugendaemter.html