Gerade die Vorgänge rund um den sog. Tierschützerprozess und die Diskussion um den § 278 sind symptomatisch für das Grundübel in der österreichischen Justiz: mangelnde Transparenz und Kontrolle
Macht braucht Kontrolle – und nicht Vertrauen, wie uns die Politiker in Sonntagsreden blumig verkünden. Macht ist dazu da, ausgeübt zu werden. Und weil Macht immer in Händen von Menschen liegt, Menschen aber prinzipiell verführbar und korrumpierbar sind – und sei es nur für den guten Zweck -, so gehört Macht kontrolliert. Vier-, Sechs-, Acht- und Mehraugenprinzip, in der Wirtschaft, in der Qualitätskontrolle, in der Wissenschaft eine Selbstverständlichkeit. In Politik, Staat und Verwaltung auch? Schön wär’s.
Wie der Staat organisiert ist, steht in der Bundesverfassung, doch dort steht viel. Viel totes Recht. Die Realverfassung sieht anders aus in Österreich. Zum Beispiel das freie Mandat. Das steht in der Verfassung, wird in der politischen Praxis jedoch ausgehöhlt, ja verhöhnt. Der Clubzwang ist das erste Gebot des Abgeordneten. Wer sich dem nicht bedingungslos unterwirft, ist draußen. Aus dem Club, aus der Partei, aus dem Parlament. Oder die Gewaltenteilung. Die in der Verfassung angelegt ist, in der Praxis jedoch auf vielfältige Art umgangen und ausgehöhlt wird. Etwa bei der Weisungsgebundenheit der Staatsanwälte, aber nicht nur dort. Durch diese kann ein Justizminister verhindern, dass in einem bestimmten Fall Anklage erhoben wird oder laufende Verfahren abwürgen. Eine unerträgliche Vorstellung. Ein eklatanter Bruch des Prinzips der Gewaltenteilung. In Österreich gelebte Realität. Dabei bedarf es nicht einmal schriftlicher Weisungen, wie im Gesetz verlangt. Ein Anruf oder ein Rendezvous im Cafe genügt. Die Justizminister beteuern treuherzig, es gäbe eh keine Weisungen. Braucht’s gar nicht, weil bei uns in Österreich wird so was „unter der Tuchent“ oder „amikal“ geregelt.
Rechtsstaat als Vertrauenssache?
Womit wir bei der Justiz wären. In Österreich beschwören Politiker den Rechtsstaat. Fast in jeder Sonn- und Feiertagsrede. Im Skandal um die Verrückung der Ortstafeln in Bleiburg durch den jetzigen Landeshauptmann Dörfler war die erste Reaktion der Justizministerin Bandion-Ortner: „…der Ruf der österreichischen Justiz sei ausgezeichnet, den lasse sie sich nicht kaputt machen … das Vertrauen in die Justiz sei nicht erschüttert…“ (Wr. Zeitung vom 20.09.2009). Aussagen, die gleich mehrfach zum Nachdenken und zum Widerspruch anregen.
Da wäre einmal das Amtsgeheimnis, das in der Praxis weniger dem Schutz vor Veröffentlichung privater, persönlicher Details aus Akten dient, als vielmehr den Ämtern und Behörden als Vorwand zur Verfolgung von mutigen Bürgern und Beamten, die (Behörden-)Skandale aufdecken wollen. Da wäre das viel zitierte Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat, das so oft beschworen und noch viel öfter durch die Praxis unterhöhlt und missbraucht wird. Um dieses Vertrauen der Bürger buhlen die Parteien vor jeder Wahl. Und sie enttäuschen es regelmäßig. Und da wäre die Formulierung, „sie (die Justizministerin) lasse SICH den guten Ruf der Justiz nicht kaputt machen…“, so als ob dieser gute Ruf, dieses Vertrauen in ihrem Besitz, in ihrer Verfügungsgewalt, in ihrem Belieben läge! Das ist für mich der eigentliche Skandal dieser Aussage. Die im Klartext so lautet: Ich befinde, dass die Bürger Vertrauen in den Rechtsstaat haben und zu haben haben. Und ich lasse nicht zu, dass dieses durch Veröffentlichung von geheimen Akten zerstört wird. Punkt.
Wie steht es aber um das Vertrauen in die Justiz? Zunächst ist Vertrauen keine politische Kategorie. Auch wenn die Vokabel eine der häufigsten im politischen Monolog der Politiker mit den Bürgern ist. Ich sage absichtlich Monolog, weil der gewünschte Dialog nur in einer Richtung abläuft: Vom Politiker herab zu den Wählern. Und ich sage bewusst Wähler. Weil der Bürger von der Politik nur als Wähler wahr und ernst genommen wird. Der Bürger ist ihr suspekt. Er ist grundsätzlich parteilos und besitzt Rechte. Beides ist der Politik unheimlich. Sie bevorzugen daher den Wähler. Er entscheidet sich für eine Partei und er hat nur ein Recht: das Wahlrecht. Alle vier, künftig alle fünf Jahre einmal. Das ist überschaubar und beherrschbar.
So wie Vertrauen keine politische Kategorie darstellt, so ist es in einem Rechtsstaat grundsätzlich fehl am Platz. Ich kann auf Gott vertrauen, auf meine Fähigkeiten und darauf, dass ich meinen Job nicht verliere oder auf das Gute im Menschen. Aber Vertrauen ist immer ein Vorschuss an gutem Willen, ein freiwillig gewährtes Wohlwollen, dass die Dinge schon so seien oder sich entwickeln würden, wie es sich mir darstellt oder ich es erhoffe. Dieses Vertrauen hat keinen Einfluss auf die Realität. Es wird durch die Realität im Einzelfall entweder bestätigt oder enttäuscht. Im zweiten Fall muss ich erkennen, dass ich mich getäuscht habe! Oder getäuscht wurde. Und darauf soll sich ein Rechtsstaat gründen? Eine merkwürdige Zumutung, die uns da abverlangt wird.
Wer kontrolliert den Staat?
In der Politik geht es um Macht. Nur um Macht, um Macht allein und um nichts als Macht. Das ist gut so. Denn nur Politiker mit Machtbefugnis können etwas weiter bringen. Doch diese Macht muss durch Kontrolle beschnitten, gelenkt und begrenzt werden. Und muss sich dieser Kontrolle zu jeder Zeit, beliebig oft und ohne Einschränkung, stellen. Und da beginnt das Problem. Die Verfassungen aller modernen Republiken und Demokratien enthalten Kontrollprinzipien, die viel zitierten Checks and Balances der amerikanischen Verfassung etwa oder die Teilung der Gewalten auf unabhängige Organe oder die parlamentarische Kontrolle der Regierung durch die Opposition. Die Gewaltenteilung wird aber in der täglichen politischen Praxis wiederholt gebrochen, unterlaufen und ausgehöhlt. Da hilft auch das größte Vertrauen nix.
Vertrauen in den Staat? Vertrauen in die Gewalten? Vertrauen in Ämter und Behörden? Schön und gut. Wenn das Vertrauen tagtäglich erworben, geprüft und verifiziert wird. Ich darf vertrauen, dass der Staat, der sich meines Steuergeldes bedient, gemäß der Verfassung funktioniert. Aber ich muss jederzeit die Möglichkeit haben, zu prüfen, ob dieses Vertrauen auch zu Recht besteht und nicht ausgenützt und missbraucht wird! Und: Machtmissbrauch muss geahndet werden, Vertrauensmissbrauch muss bestraft werden! So wie jeder Diebstahl und Betrug. Davon sind wir in Österreich Lichtjahre entfernt.
Beim leisesten Zweifel müssen alle nötigen Mittel zur Verfügung stehen, die Rechtskonformität in Legislative, Justiz und Verwaltung auf die Probe zu stellen. Alles im Rechtswesen muss überprüfbar, transparent, beeinspruchbar und nachvollziehbar sein. Geheimnistuerei ist hier genauso wenig am Platz wie Beliebigkeit und Willkür.
Recht ist wandelbar. Und das ist gut so. So wenig wie es ein absolutes, ewiges Gesetz gibt, so wenig darf dieses Gesetz naiv und unhinterfragt, unbegründet hingenommen werden. Jedes Gesetz muss sich tagtäglich bewähren und aufs Neue seine Existenzberechtigung unter Beweis stellen. Weder das Recht noch die Gesetze sind objektiv gut oder schlecht. Sie müssen brauchbar sein und den grundlegendsten Rechtsnormen wie sie zum Beispiel in der Erklärung der Menschenrechte niedergelegt sind, genügen. Ein Staat, der sich Rechtsstaat nennt, muss diese Standards als Mindeststandards übernehmen und garantieren! Und Verstöße dagegen müssen Konsequenzen haben. Auch und besonders in Politik, Justiz und öffentlicher Verwaltung. Leider ist Österreich, was die Bekämpfung der Korruption, den Missbrauch von Macht, Stellung und Einfluss angeht, auf der Stufe eines Entwicklungslands. Korruption gilt noch immer als Kavaliersdelikt. Das Amtsgeheimnis dient nur zur Vertuschung von Amtsmissbrauch und die Aufdeckung von Skandalen im Umfeld von Politik und Hoheitsverwaltung bleibt in der Regel ohne Folgen für die Verantwortlichen.
Unabhängiger Rechtsstaatsanwalt
Als erster Schritt könnte die Schaffung einer unabhängigen Rechtsstaatsanwaltschaft Linderung verschaffen. Diese hätte die Kompetenz, alle Vorgänge in der Justiz auf Rechtsstaatlichkeit zu prüfen und im Falle von Verstößen ihrerseits Ermittlungen gegen die betroffene Behörde bzw. einzelne Beamte wegen z. B. Amtsmissbrauchs aufzunehmen und Anklage zu erheben. Natürlich müsste die Rechtsstaatsanwaltschaft ungehindert Akteneinsicht erlangen und alle Beteiligten müssten auskunftspflichtig sein, ohne sich auf Amtsgeheimnisse oder ähnliches berufen zu können. Natürlich müsste die Rechtsstaatsanwaltschaft außerhalb des Justizapparates stehen und ihrerseits laufend überprüft werden. Das könnte durch eine eigene Abteilung des Rechnungshofs geschehen, oder eine sachkundige Institution aus Anwälten, Bürgerrechtlern und pensionierten Richtern. Und natürlich dürfte die Rechtsstaatsanwaltschaft nur der Verfassung und den Bürgern verpflichtet sein und müsste jedem direkten Einfluss der Politik und der Regierung entzogen sein!
Dann wären Justizskandale à la Kaprun oder völlig aus dem Ruder laufende Verfahren wie der Wr. Neustädter Tierschützerprozess hoffentlich endgültig Vergangenheit! Klingt Utopisch? Ja, ich weiß, aber einen Rest Optimismus braucht der Österreicher, um an der Gegenwart nicht zu verzweifeln. (Leser-Kommentar, Johannes Reichhart, derStandard.at, 21.6.2011)
Autor
Johannes Reichhart, geboren 1954.
Leser-Kommentar | 21. Juni 2011, 12:55
Quelle: http://derstandard.at/1308186600439/Macht-braucht-Kontrolle