BONN/TRIER. Bischof Stephan Ackermann hat am Mittwoch in Bonn die beiden wissenschaftlichen Forschungsprojekte vorgestellt, welche die Fälle sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche aufarbeiten sollen.
Nachdem es in einem ersten Schritt der Aufarbeitung um “konkrete Hilfen für die Opfer” gegangen sei, könne man jetzt die wissenschaftliche Arbeit intensivieren, sagte Ackermann, der auch Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist. “Inzwischen ist auch die Zahl der Opfermeldungen deutlich zurück gegangen, so dass der Zeitpunkt geeignet scheint, die vorliegenden Daten und Fakten wissenschaftlich aufzuarbeiten”, betonte der Bischof, und weiter: “Wir wollen auch der Wahrheit, die möglicherweise noch unentdeckt in Akten vergangener Jahrzehnte liegt, auf die Spur kommen”.
Zudem wolle man “nicht nur formale Statistiken und Zahlenwerke erstellen, sondern mit Hilfe unabhängiger Experten auch Ursachenforschung betreiben, um besser zu verstehen, wie es zu den Ungeheuerlichkeiten sexuellen Missbrauchs durch Kleriker und kirchliche Mitarbeiter kommen konnte”. Nach Abschluss der beiden Untersuchungen werde man das bisherige Präventionskonzept der Kirche überprüfen und “falls nötig Ergänzungen vornehmen”, kündigte Ackermann an.
Das erste Forschungsprojekt “Der sexuelle Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz” wird unter der Leitung von Professor Christian Pfeiffer durch das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen e. V. durchgeführt. Pfeiffer, vor allem bekannt aus vielen Talkshow-Auftritten, nannte am Mittwoch in Bonn fünf Ziele für das Projekt: belastbare Zahlen, die Aufarbeitung des Geschehens aus Sicht der Opfer, eine Analyse des Handelns der Täter, eine Untersuchung des Verhaltens der katholischen Kirche gegenüber Tätern und Opfern sowie um die Überprüfung des bestehenden Präventionskonzepts.
Methodisch werde dazu eine “Längsschnittentwicklung des Missbrauchs” in neun ausgewählten Bistümern von 1945 bis 2010 durchgeführt. Zu diesen Bistümern gehört auch die Diözese Trier. Daneben gibt es eine Querschnittanalyse in den anderen 18 Bistümern von 2000 bis 2010. “Die Beschränkung der Tiefenbohrung auf jede dritte Diözese wird deshalb empfohlen, weil nicht zu erwarten ist, dass eine sich auf 65 Jahre erstreckende, flächendeckende Datenerhebung im Vergleich dazu bessere Erkenntnisse bringen werde”, sagte Pfeiffer. Die Querschnittsanalyse ermögliche es zu überprüfen, wie sich die von der Deutschen Bischofskonferenz 2002 in Kraft getretenen Leitlinien zum Umgang der Kirche mit Fällen sexuellen Missbrauchs ausgewirkt hätten. Bei der Erhebung der Daten werde dem Institut aus daten- und personenschutzrechtlichen Gründen keinerlei direkter Einblick in Personalakten gewährt. Die Daten würden von Archivmitarbeitern bzw. geschulten Juristen erhoben und erst dann mit Hilfe eines Erhebungsbogens zur Auswertung an das Institut übermittelt.
Das zweite Forschungsprojekt liegt in der Verantwortung von Professor Norbert Leygraf, Direktor des Instituts für Forensische Psychiatrie der Universität Essen-Duisburg in Zusammenarbeit mit Professor Hans-Ludwig Kröber (Charité – Universitätsmedizin Berlin) und Professor Friedemann Pfäfflin (Universitätsklinikum Ulm). Das Projekt “Sexuelle Übergriffe durch Geistliche in der katholischen Kirche Deutschlands – Analyse psychiatrisch-psychologischer Gutachten” soll mit einer qualitativen und quantitativen Gutachtenanalyse ein umfassendes Bild über Täterpersönlichkeiten ermöglichen. Dabei würden biographische Zusammenhänge sowie die Situation und Abläufe der vorgeworfenen sexuellen Handlungen und Merkmale der Opfer eine Rolle spielen, kündigten die Forscher an. “Aus den Ergebnissen sollen Prädikatoren für Gefahrenmomente für sexuelle Missbrauchshandlungen identifiziert und Präventionsmöglichkeiten abgeleitet werden”, erklärte Professor Leygraf.
Quelle: 16vor – http://www.16vor.de/index.php/2011/07/13/bischofe-engagieren-forscher/
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07.07.2011 – kathweb – Deutsche Bischofskonferenz lässt zu Missbrauch forschen