18.04.2009 – TAZ – Wenn das Kind auf der Strecke bleibt

FAMILIENRECHT Viele Alleinerziehenden nutzen ihre Macht über die Kinder aus, um den anderen Elternteil zu verletzen. Dabei laufen auch Väter, die sich kümmern wollen, Gefahr, zum bloßen Unterhaltszahler zu werden

VON GUDRUN HOLTZ

Zu seinem Sohn hat Michael Steinhoff derzeit keinen Kontakt. Drei Jahre ist es her, dass der Bremer sich scheiden ließ, der Sechsjährige lebt heute bei seiner Exfrau. Ein halbes Jahr nach der Trennung ging sie das erste Mal vor Gericht, um den Kontakt zwischen Vater und Sohn zu verhindern. Immer wieder wurde Steinhoff beschuldigt, sich dem Kind gegenüber falsch zu verhalten. Zum Teil wurden die Anschuldigungen als unbegründet abgewiesen.

Wenn sich Elternpaare trennen oder scheiden lassen, geraten Väter in Gefahr, auf den Unterhaltszahler reduziert zu werden. Der Bremer Rechtsanwalt Bruno Contur rät, innerhalb eines Scheidungsverfahrens eine Regelung des Sorgerechts, des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Umgangsrechts zu beantragen. Conturs Erfahrungen zeigen, dass Paare es oftmals versäumen, dies zu klären, weil immer noch die Auffassung besteht, es werde schon irgendwie klappen.

So wie bei Michael Steinhoff und seiner Frau. Wie immer die noch ausstehenden Entscheidungen des Gerichts ausfallen: Viele Alleinerziehende nutzen ihre Macht über die Kinder aus, um den anderen Elternteil zu verletzen. „Man könnte ganz brutal sagen, es geht oft nicht um die Kinder. Es geht häufig um die Auseinandersetzung der Eltern“, sagt der Bremer Psychoanalytiker Heiko Jelinek.

Ungelöste Konflikte zwischen Vater und Mutter brächten die Mutter dazu, den Vater verdrängen zu wollen. Und bei Gericht bekommen die Mütter häufig Rückendeckung. Laut Jelinek ist das kein Zufall: „Die Mütter können auf dem verbreiteten Klischee aufbauen, die Kinder gehörten zur Mutter. Und das wird durch Behörden und Gerichte sehr stark unterstützt.“

Heiko Jelinek leitet in Bremen eine Vätergruppe. Dort stehen sich Trennungsväter einmal in der Woche mit Rat und Tat zur Seite. In der Regel sehen sie alle ihre Kinder – doch der Kontakt ist ihnen oft zu kurz oder nicht häufig genug. Daneben gibt es immer wieder den Kampf mit den Müttern. Und das obwohl nach Jelineks Meinung die Väterforschung längst belegt hat, dass Väter für die Entwicklung ihrer Kinder genauso wichtig sind wie die Mütter. Der Vater ist wichtig für die Tochter. „Er kann ihr helfen“, so Jelinek, „ein gutes weibliches Selbstgefühl zu entwickeln, sich als Mädchen in der eigenen Weiblichkeit wohlzufühlen“.

Für Jungen spielt der männliche Part in der Erziehung ebenfalls eine wichtige Rolle. „Bei den Söhnen“, sagt der Psychoanalytiker, „ist es wichtig, sich aus der Situation des kleinen Prinzen der Mutter gegenüber zu lösen, aus dieser möglicherweise überengen Mutter-Sohn-Beziehung. Für den Jungen bedeutet der Vater eine Identifikationsfigur, stärker als für das Mädchen.“

Häufig haben die Kinder keine anderen männlichen Vorbilder, denn bis zum Grundschulalter treten oft kaum Männer in ihrem Leben auf. Spätestens im Erwachsenenalter zeigen sich die Konsequenzen. Nach Einschätzung von Jelinek ist es sogar fraglich, ob Jungen, die ohne Vater aufgewachsen sind, in späteren Partnerschaften ihre Aufgabe als verlässliche Männer richtig erfüllen können.

Aus Jelineks Sicht machen sich viele Frauen zu wenig Gedanken darüber, „dass auch Mütter in der Pflicht sind, Jungen so zu Männern mit zu erziehen, dass sie später reife verlässliche Partner und dann eben auch wieder Väter werden.“ Wenn Frauen aus der Enttäuschung über das Beziehungsende dafür sorgen wollten, dass ihr Kind mit ihrem Expartner nichts mehr zu tun habe, sei das eine Überreaktion.

Früher wurden Männern oft pauschal Unzulänglichkeiten in der Kindererziehung zugeschrieben. „Das ist eine kollektiv akzeptierte Diskriminierung der Männer im Umgang mit den Kindern“, sagt Jelinek. Für seine Begriffe handelt es sich dabei um eine behördlich akzeptierte Schädigung des Kindeswohls. Hier würden Kinder „um ihre Vaterbeziehung betrogen“.

Die Behörden sind dafür zuständig, im Falle einer Scheidung sicherzustellen, dass die Kinder zu beiden Elternteilen guten Kontakt haben. Der Cochemer Familienrichter Jürgen Rudolph verortet das Problem im Rechtssystem, bei dem die „Sichtweise des Kindes auf der Strecke bleibt“. Der Versuch, mit rein juristischen Formeln Familienkonflikte zu lösen, ist seiner Meinung nach nicht Erfolg versprechend. Das Gericht produziere Sieger und Verlierer „und Kinder gehen dabei immer mit als Verlierer heraus“.

Rudolph ist Mitinitiator des Cochemer Modells, das gerichtlich andere Wege beschreitet. „Kinder sollen auch nach einer Trennung einen ausgewogenen Kontakt zu beiden Eltern haben können“, so der Familienrichter. Die am Verfahren beteiligten Institutionen agieren nicht als Entscheider, sondern als Moderatoren. Sie sehen ihre Aufgabe darin, Konflikte zu lösen. Ein Weg, der sich bislang bewährt hat.

„Man könnte ganz brutal sagen, es geht oft nicht um die Kinder.“

WENN VÄTER SICH NICHT KÜMMERN

Viele Väter bekommen Beruf und Familie nach wie vor nicht unter einen Hut und wollen das auch gar nicht: So nehmen lediglich 13 Prozent der Papas eine Auszeit oder treten beruflich kürzer, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Dafür arbeiten aber 68 Prozent der Mütter weniger oder machen für die Kinder eine Pause im Job. Eine repräsentative Forsa-Umfrage ergab, dass jeder zweite Vater auch gar nicht kürzer treten will. Fast jeder Dritte kann sich das zwar vorstellen, schafft es aber nicht, dies auch umzusetzen. Bei den Müttern wollen nur 15 Prozent keinesfalls weniger arbeiten. Es sind vor allem finanzielle Sorgen, die Eltern von einer beruflichen Pause abhalten. – Dies bejahten 59 Prozent der Befragten. Lediglich sechs Prozent haben Angst vor einem Karriere-Aus. Mehr als jeder Fünfte musste bereits einmal wegen seines Jobs einen Urlaub absagen oder verkürzen. Fast die Hälfte der Eltern arbeitet ab und zu auch am Wochenende und mehr als jeder Dritte nimmt sich des öfteren Arbeit mit nach Hause. Überstunden machen 46 Prozent der Befragten. Fast jede dritte Mutter verbringt mehr als acht Stunden täglich mit der Kindererziehung. Im Vergleich: Nur fünf Prozent der Väter sind „Vollzeit-Papas“ – aber 28 Prozent der Väter haben schon mal den Geburtstag ihres Kindes oder dergleichen verpasst. dpa

Quelle: TAZ – http://www.taz.de/1/archiv/print-archiv/printressorts/digi-artikel/?ressort=sp&dig=2009%2F04%2F18%2Fa0197&cHash=aef6879365

 

05.09.2009 – Weser Kurier – Kinder haben ein Recht auf beide Eltern

Bremen. Seit Monaten hat Sebastian Klein (Name von der Redaktion geändert) aus Bremen seinen Sohn nicht mehr gesehen. Das fünfjährige Scheidungskind lebt bei der Mutter und verbrachte bisher jedes zweite Wochenende bei seinem Vater. Doch das geht nun nicht mehr. „Nach seinem fünften Geburtstag wurde mir komplett der Umgang von meiner Ex-Frau untersagt“, erzählt Klein.

Bereits ein halbes Jahr nach der Trennung ging seine Frau vollkommen unverhofft das erste Mal vor Gericht, um den Kontakt zwischen Vater und Sohn zu verhindern. Seitdem reiht sich ein Gerichtsverfahren ans andere. Immer wieder wurde er von seiner Frau beschuldigt, sich dem Kind gegenüber falsch zu verhalten. Zum Teil wurden ihre Anschuldigungen vom Gericht schon als unbegründet abgewiesen. Nun ist sie erneut vor Gericht gegangen. „Sie hat den ganzen Katalog benutzt, den man vorwerfen kann“ sagt Sebastian Klein.

Von einem auf den nächsten Tag wurde der Kontakt unterbunden. Das Gericht entschied ohne Verhandlung und Anhörung, dass er drei Monate sein Kind nicht sehen darf. Klein versteht nicht, warum es nicht möglich ist, wenigstens einen betreuten Umgang einzusetzen oder sofort einen Gerichtstermin zu haben. „Unmengen an Zeit gehen ins Land“ klagt er. „Das mindeste wäre, irgendjemand überprüft jetzt, wie ich mit meinem Sohn umgehe.“ Falls bei der Gerichtsverhandlung gesagt wird, es sei für seinen Sohn zu anstrengend, zu ihm Kontakt zu haben, wird er sich zurückziehen. Er möchte verhindern, dass sein Sohn weiterhin von seiner Mutter instrumentalisiert wird.

Zahlreiche Verfahren an deutschen Familiengerichten

An deutschen Familiengerichten gibt es zahlreiche Verfahren, bei denen es darum geht, ob und wie viel Kontakt das Kind zum anderen Elternteil haben soll. Manche Verfahren mögen berechtigt sein und es ist wirklich zum Wohle des Kindes, dass es keinen Kontakt mehr zu einem misshandelnden oder missbrauchenden Elternteil hat. Oft aber werden auch falsche Anschuldigungen benutzt, um den anderen Elternteil aus dem Leben des Kindes zu verdrängen. Trennungsschmerz, Rachegefühle, ungelöste Konflikte zwischen den Eltern oder die Angst davor, dass das Kind den anderen Elternteil nach der Trennung lieber mögen könnte, veranlasst viele Alleinerziehende dazu. Dass sie damit letztendlich auch ihren Kindern schaden, nehmen sie nicht wahr. Dabei haben Kinder seit 1998 ein Recht auf beide Eltern.

Die gemeinsame Sorge beider Eltern nach einer Scheidung wurde zum Regelfall gemacht. Man hoffte auf einen Rückgang der Konflikte und einen Bewusstseinswandel beim betreuenden Elternteil dahingehend, dass auch der Umgang mit dem anderen Elternteil für das Kind wichtig sei. „Im Scheidungsverfahren treffen wir inzwischen keine Entscheidung mehr zur elterlichen Sorge“ sagt Familienrichterin Margarethe Bergmann. Die Kölner Juristin hatte selbst an der Gesetzesänderung mitgearbeitet. Die Streitigkeiten haben seit der Reform jedoch zugenommen. Allein von 1998 bis 2003 gab es einen Anstieg um 50 Prozent. „In den Fällen, wo ein Streit entsteht, gibt es so einen Bodensatz, wo der Streit viel radikaler ist als früher“ erklärt sie. „Es gibt Eltern, die überhaupt nicht in der Lage sind, ihre eigenen Bedürfnisse ein Stück zurückzustellen, um Kindern gerecht zu werden.“

Vorübergehenden Ausschluss des Umgangs anordnen

Immer wieder passiert es auch, dass gerade Gerichte einen, wenn auch vorübergehenden Ausschluss des Umgangs anordnen. „Der Richter findet eine verfahrene Situation vor und fühlt sich hilflos“ erklärt der Cochemer Familienrichter Jürgen Rudolph. Schließlich würden Sachverständige beauftragt, diagnostische Gutachten zu erstellen. Darin würde dann oft festgestellt werden, dass Ruhe für das Kind rein müsse, damit es sich von den Streitigkeiten erholen kann. „Eine Umgangsunterbrechung für mehrere Monate und manchmal bis zu zwei Jahren wird angeordnet.“ So wird „der andere Elternteil rausgekickt“, erklärt Rudolph.

Betroffen sind überwiegend Väter, weil die Arbeitsteilung in der Familien zumeist immer noch klassisch ist und die Mehrzahl der Kinder nach einer Scheidung oder Trennung bei der Mutter lebt. Zahlreiche Kinder werden so um ihre Beziehung zum Vater gebracht. Es gibt aber auch Mütter, denen der Umgang mit ihren Kindern verwehrt wird. In Rheinland-Pfalz beträgt die Quote der Frauen, die von solch einem gerichtlichen Beschluss betroffen sind, 20 Prozent „mit steigernder Tendenz“. Zudem sei die Härte des Konflikts nicht geschlechtsspezifisch, stellt Rudolph klar. „Väter stehen Müttern da in nichts nach.“

Rudolph verortet das Problem in unserem Rechtssystem, bei dem die „Sichtweise des Kindes auf der Strecke bleibe“. Der Versuch mit rein juristischen Formeln, Familienkonflikte zu lösen, könne nur schiefgehen. Das Gericht produziere Sieger und Verlierer „und Kinder gehen dabei immer mit als Verlierer heraus“. Gerichtverfahren hätten zudem eine eskalierende Wirkung. Die lange Dauer zwischen Antrag und Gerichtstermin, im Durchschnitt 6,8 Monate (2005), verschärfe die Situation zwischen den Eltern. Dass sich das Jugendamt durch eine Stellungnahme als Gegner oder Befürworter positioniere, sei auch nicht gerade förderlich.

„Tempo der frühen Intervention“

Jürgen Rudolph ist Mitinitiator des Cochemer Modells, das gerichtlich andere Wege beschreitet. „Kinder sollen auch nach einer Trennung die Beziehung zu beiden Eltern leben können.“ Dies ist das Ziel in Cochem. „Wir leben vom Tempo der frühen Intervention, und selten wird der Eskalationsstand erreicht, der sich in normalen Verfahren über Monate oder Jahre aufbaut.“ So wird nach Antragsstellung prinzipiell in zwei Wochen ein Gerichtstermin anberaumt, zu dem auch das Jugendamt geladen wird. Es muss nicht wie sonst eine Stellungnahme abgeben, sondern stattdessen vorher die ganze Familie kontaktieren. Die Rechtsanwälte haben sich verpflichtet, keine schmutzige Wäsche zu waschen, und maximal eine Seite zur Sache zu schreiben. Beim Termin selbst können die Eltern darüber reden, was für sie eine Rolle spielt.

Auch Emotionen dürfen dabei losgelassen werden. „Man kriegt so ziemlich gut eine Gesprächsbereitschaft hin“ sagt Rudolph. Die am Verfahren beteiligten Richter, Anwälte, Gutachter und Jugendamtsmitarbeiter verstehen sich nicht als Entscheider, sondern vielmehr als Moderatoren. Sie versuchen den Streit zu schlichten. Wichtig ist, dass die Eltern zu einer einvernehmlichen Lösung finden. Sind die Eltern beim Gerichtstermin dazu nicht in der Lage, werden sie zur Beratung geschickt, und ein neuer Gerichtstermin wird drei Monate später angesetzt. Das geht nicht immer ohne Druck, weshalb das Modell auch schon als autoritär kritisiert wurde. „Entweder bleibt der Druck auf den Kindern oder wir verlagern den Druck auf die Eltern.“ hält Rudolph dem entgegen. In der Beratung könne den Eltern deutlich gemacht werden, dass es nicht um sie gehe, sondern um ihre Kinder.

Cochemer Modell erfolgreich

Das Cochemer Modell hat sich als sehr erfolgreich bewährt. Es wird inzwischen im nördlichen Rheinland-Pfalz praktiziert, und Baden-Württemberg ist gerade dabei, es zu übernehmen. Rudolph wurde auch in Berlin bei den Beratungsgesprächen eines neuen Verfahrensgesetzes in Familiensachen konsultiert. Das neue Gesetz wurde im Juni vom Bundestag verabschiedet und trat am 1. September in Kraft. Umgangsverweigerungen sollen damit künftig besser verhindert werden. Es sieht vor, dass Gerichte Ordnungsgelder gegen umgangsverweigernde Eltern verhängen können. Außerdem gibt es die Möglichkeit, einen Umgangspfleger zu bestellen, der in schwierigen Konflikten sicherstellen soll, dass der Kontakt des Kindes zum Umgangsberechtigten nicht abbricht. Eine Beschleunigung von Sorge- und Umgangsverfahren ist vorgesehen, und auch die einvernehmliche Lösung des Konfliktes soll bei Gericht im Vordergrund stehen.

Es hat den Anschein, als wenn das Cochemer Modell Eingang ins Gesetz gefunden hätte. Rudolph ist jedoch enttäuscht. „Das Gesetz ist viel zu schwach.“ Zwar könne das Gericht die Eltern in die Beratung schicken, aber dies sei nicht vollstreckbar. Der Richter kann es nicht durchsetzen, wenn sich Eltern weigern. Außerdem sei die frühe Terminierung des Gerichtstermins nur eine Soll-Vorschrift geworden, also muss er nicht geschehen. Das Gesetz hätte seiner Ansicht nach konsequenter sein können. „Es wurde wieder nur ein halbherziger Schritt gemacht.“

Neues Scheidungsrecht- 05.09.2009

Von Gudrun Holtz und Edith Diewald

Quelle: Weser Kurier – http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Politik/30815/Kinder-haben-ein-Recht-auf-beide-Eltern.html