12.07.2012 – Standard – In Schweden funktioniert die gemeinsame Obsorge

Anne Rentzsch aus Stockholm, 12. Juli 2012, 17:49

Schwedens geschiedene Paare kümmern sich häufig abwechselnd eine Woche um die Kinder. Laut Studie tut das dem Nachwuchs gut.

Fredrik Reinfeldts erklärte Freude an Hausputz und Wäsche waschen hat das Eheglück nicht retten können. Der schwedische Ministerpräsident und seine Frau Filippa haben die Scheidung eingereicht. Die mediale Aufregung hält sich in Grenzen: Was das Ehepaar Reinfeldt jetzt durchlebt, ist angesichts einer 45-prozentigen Scheidungsrate schwedische Normalität.

Als Eltern zweier minderjähriger Kinder – der älteste Sohn ist bereits erwachsen – müssen nun auch der Regierungschef und die Stockholmer Gesundheitsstadträtin eine sechsmonatige Bedenkzeit einhalten, ehe es endgültig um Scheidung und Sorgerecht gehen wird. Zumal für Filippa Reinfeldt könnte danach ein insgesamt erfreulicheres Leben anbrechen – jedenfalls, wenn man der Anthologie mit dem programmatischen Titel Happy, happy Glauben schenkt.

Seit seinem Erscheinen im vergangenen Herbst sorgt das Buch für Kontroversen. Es präsentiert glücklich geschiedene Frauen und huldigt einem wachsenden Trend: Das in Schweden mit seinen engagierten Vätern allgemein übliche gemeinsame Sorgerecht wird demnach ganz praktisch umgesetzt, indem die Kinder wechselweise bei jeweils einem der Ex-Partner wohnen. Bei den unter Sechs- bis Neunjährigen pendelt sogar jedes zweite Trennungs- und Scheidungskind inzwischen nach dem Motto “ Jede zweite Woche“ regelmäßig zwischen Mama und Papa hin und her.

Stress für die Eltern

Den Geschiedenen bringt der posteheliche Lebensstil zwar einerseits Zusatzstress in der „Kinder-Woche“. Andererseits gewinnen sie aber lange entbehrte Freiräume zurück. Dies gelte vor allem für die Frauen, die auch im Vorzeigeland der Gleichberechtigung das Gros der Haus- und Familienarbeit bewältigten, betont Happy, happy-Herausgeberin Maria Sveland. Nicht zuletzt strahle das neue Glück einer entspannten Mutter auf die Kinder ab. Eine These, die selbst im individualistischen Schweden provoziert: Kritiker sehen die erklärte Lust am Pendeln zwischen Elternschaft und Singledasein als Extrem-Individualismus, der auf dem Rücken der Kinder ausgetragen wird.

Eine im vergangenen Frühjahr veröffentlichte Untersuchung des Karolinska-Instituts gemeinsam mit der Universität Stockholm unter rund 170.000 Sechs- und Neuntklässlern legt allerdings nahe, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen mit der Situation vergleichsweise gut zurechtkommen. Sie sind demnach zwar insgesamt weniger zufrieden als Gleichaltrige aus intakten Familien, verarbeiten die elterliche Trennung aber wiederum deutlich besser als jene, die bei nur einem Elternteil wohnen.

Gleichwohl, betonen die Verfasser der Studie, bleiben noch viele Fragen offen. Vergleichbare Studien über die Befindlichkeit der kleinen Pendler sind bislang sehr dünn gesät. In Arbeit ist jetzt eine Untersuchung über betroffene Kinder unter vier Jahren. (Anne Rentzsch aus Stockholm, DER STANDARD, 13.7.2012)

Quelle: Standard – http://derstandard.at/1341845216145/Scheidung-auf-Schwedisch

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